Kommentar zur Zeit

Unter dieser neuen Rubrik „Kommentar zur Zeit“ wollen wir Ihnen kritische Kommentare zu unserem Gesundheitswesen und Politik abgeben. Viele Entscheidungen im Gesundheitswesen werden heute in einer Parallelwelt getroffen, von Menschen mit „Ärmelschonern“ und „Fliegenträgern“, die von der Basis und den direkt am Patienten arbeitenden und mitdenkenden Menschen in der Pflege und Ärzteschaft weit entfernt sind. In der Chirurgie ist es in den letzten Jahren zu einer enormen Arbeitsverdichtung gekommen, so dass wir leider keine Zeit haben, uns dem entgegen zu stellen und unsere Position darzulegen. Deshalb wollen wir in regelmäßigen Abständen in diesem Forum unsere Meinung zu Entwicklungen im Gesundheitssystem aus der Chirurgischen Klinik des St. Josef-Hospital Bochum, Klinikum der Ruhr-Universität über unsere Homepage einer größeren Öffentlichkeit mitteilen.

 

 

Kommentar zum Gesetzentwurf für die Patientenverfügung. "Eine Bürokratisierung am Ende des Lebens nützt weder dem Patienten noch uns"

 

Immer mehr Menschen verfassen heute eine Patientenverfügung, in der sie darlegen, wie sie als Patient behandelt werden möchten, wenn sie einmal nicht mehr einwilligungsfähig sind. Der Bundesgerichtshof hat in einer grundlegenden Entscheidung vom 17.03.2003 (BGHZ 154, 205 ff) die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts des Patienten anerkannt, dennoch ist die Patientenverfügung bislang nicht gesetztlich verankert. Derzeit liegen unterschiedliche Gesetzentwürfe vor, in denen die Patientenverfügung gesetztlich geregelt und damit für alle Beteiligten eine Rechtssicherheit hergestellt werden soll.

Wir begrüßen grundsätzlich und ausdrücklich die angestoßene Diskussion in der Öffentlichkeit über Patientenverfügungen, Selbstbestimmungsrecht des Patienten und Behandlung schwer kranker Menschen am Lebensende. Bei näherer Beschäftigung mit den gesetzgeberischen Bemühungen kommen uns jedoch große Bedenken. Es besteht die Gefahr einer unüberschaubaren Bürokratisierung!, die weder dem betroffenen Patienten, noch den Angehörigen und uns in dieser schwierigen Lebenslage hilft respektive für uns alle von vehementen Nachteil ist. Ohne hier zu sehr ins Detail gehen zu wollen, zeigt sich in den Entwürfen eine theoretische, realitätsferne und teils technokratische Sichtweise. Es werden in den Gesetzesvorlagen z.B. Bedingungen und Zustände formuliert, unter denen eine Patientenverfügung wirksam oder unwirksam wird und unter welchen Umständen und wann sie erneuert werden muss. Dabei werden unter anderem Begriffe wie „unheilbare Krankheit“ oder „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verwendet. In dem Bemühen, eine verbindliche Regelung zu schaffen, wird aber unserer Meinung nach übersehen, dass das „wirkliche Leben“ häufig vollkommen anders ist. Wer entscheidet zum Beispiel, ob eine Krankheit unheilbar ist? Wer kann das schon mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ sagen?

Niemand!

Wir erleben in unserem Alltag ein unendlich breites Spektrum von klinischen Situationen und den damit verbundenen ethischen Problemstellungen, vor allen Dingen in unserer Verantwortung um die Patienten und Angehörigen, die auf unserer gemeinsam mit den Anästhesisten geführten operativen Intensivstation behandelt werden und schwer erkrankt sind. Gerade in Grenzsituationen am Lebensende fällt es schwer den aktuellen Zustand eines Patienten in „juristisch wasserdichte“ Kategorien zu fassen. Die Szenarien sind so vielfältig, dass sie gar nicht alle durch eine Patientenverfügung „abgedeckt“ werden können. Das ist schlicht unmöglich und bleibt ein frommer, vielleicht auch typisch deutscher Wunsch.

Wie lässt sich nun das Dilemma lösen: Der berechtigte Wunsch der Patienten nach Selbstbestimmung einerseits und die individuelle Entscheidungsfindung am konkreten Patienten anderseits – z.B. über den Abbruch einer Behandlung?

Wir sehen das als eine grundsätzlich ärztliche Aufgabe – nicht eine Aufgabe von Juristen! Für solche Situationen hat sich in unserer Klinik das so genannte interdisziplinäre ethische Fachgespräch (bei uns „Ethikkonsil“ genannt) bewährt, dass seit über 5 Jahren auf unserer operativen Intensivstation - in diesen zum Glück nur wenigen Fällen - durchgeführt wird. Hierbei setzen sich in einem ergebnisoffenen Gespräch das Pflegeteam: das heißt Ärzte, Pflegekräfte und sonstige an der Behandlung Beteiligte zusammen und besprechen den konkreten Fall unter Moderation meist durch einen Seelsorger der Klinik. Dabei geht es zunächst um die medizinische Situation und die bisher durchgeführte Therapie. Dann wird versucht den Wunsch des Patienten zu ermitteln. Dabei wird selbstverständlich auch eine vorliegende Patientenverfügung berücksichtigt, die dabei einen ganz hohen Stellenwert hat. Aber damit endet nicht die Bestandsaufnahme! Es wird auch – über Gespräche mit den Angehörigen – versucht, ein umfassendes Bild des Patienten zu gewinnen. Wie hat der Patient zuletzt gelebt, wie ist der Lebenswille gewesen, wie ist das soziale Umfeld, was für Einstellungen hat der Patient zum Lebensende gehabt, etc....

Erst auf Grundlage einer solchen umfassenden und zuweilen auch zeitaufwändigen Bestandsaufnahme kann in einem „Ethikkonsil“ wirklich eine Entscheidung im Sinne des Patienten getroffen werden! Es reicht nicht einfach, eine „rechtsverbindliche“ Patientenverfügung abzulesen – und im Zweifelsfall durch Juristen durchsetzen zu lassen. Wir brauchen eine umfassende und gründliche Beschäftigung mit dem individuellen Patienten und wir verstehen das als unsere ureigenste ärztliche Aufgabe und Verantwortung. Es ist Teil unseres Berufsethos. Das kann uns keiner abnehmen!

Von der Politik wünschen wir uns:

- Es soll weiterhin Patientenverfügungen geben, sie sind ein wichtiger Baustein, wenn

  es darum geht den Willen des Patienten zu ermitteln!

- Aber bitte: keine unnötige Bürokratisierung am Lebensende!

- Stärkt die ärztliche und pflegerische Verantwortung für das Wohl der Patienten am

  Lebensende!

- Intensiviert die Fortbildung und Ausbildung der Mediziner in ethischen Fragen – denn

  Medizinethik darf kein Schattendasein führen!

Von den Patienten wünschen wir uns:

- Verfassen sie eine Patientenverfügung, in der sie möglichst konkret auf mögliche

  Situationen eingehen!

- Sprechen Sie aber auch mit ihren Angehörigen und Freunden, wie sie sich Grenz-

  Situationen z. B. bei schwerer Krankheit vorstellen.

- Vertrauen Sie darauf, dass wir - die Ärzte und wir sprechen auch im Namen aller

  Pflegenden- alles tun, um ihrem Wohl und ihrem Willen gerecht zu werden!

 

Dr. Ansgar Chromik

Prof. Dr. med. Waldemar Uhl